"Uns allen geht es ein bisschen so, wie diesem Zirkuselefanten: Wir bewegen uns in der Welt, als wären wir an hunderte von Pflöcken gekettet.
Wir glauben, einen ganzen Haufen Dinge nicht zu können, bloß weil wir sie ein einziges Mal, vor sehr langer Zeit, damals, als wir noch klein waren, ausprobiert haben und gescheitert sind. Mit dieser Botschaft, der Botschaft, daß wir machtlos sind, sind wir groß geworden, und seitdem haben wir nie wieder versucht, uns von unserem Pflock loszureißen.
Der einzige Weg herauszufinden, ob du etwas kannst oder nicht, ist, es auszuprobieren, und zwar mit vollem Einsatz. Aus ganzem Herzen!"
( Jorge Bucay / Der angekettete Elefant )
Die Gestalttherapie ist eine psychotherapeutische Methode, die davon ausgeht, dass jeder Mensch die Fähigkeit für Weiterentwicklung und Heilung in sich selbst trägt. Die therapeutische Aufgabe besteht unter anderem darin, ein aufmerksames und empathisches Gegenüber zu sein und die Klientin / den Klienten bei der Verfeinerung des Bewusstseins für die gerade vorhandenen Gefühle, Körperempfindungen, Gedanken und Verhaltensweisen zu unterstützen. So entstehen die nächsten Schritte im therapeutischen Prozess ganz natürlich aus der zwischenmenschlichen Begegnung heraus.
Wir sprechen dabei von "Experimenten", die wir während der Therapiesitzung entwickeln. Es geht nicht nur darum, zu analysieren oder zu besprechen was früher gewesen ist, sondern um ein wirkliches Erleben des Gefühls um das es jetzt gerade geht. Dabei lernen Sie, auch unliebsame Emotionen und Körperwahrnehmungen ganz bewusst zu empfinden. Es ist paradox, aber genau das ist erforderlich, damit sich starre (oder auch fixierte) Haltungen verändern können.
Für mich ist die Arbeit mit Gestalttherapie so existentiell belebend, dass die dazu gehörende Grundhaltung heute mein ganzes Leben durchwebt.
Unsere Ohren werden vom Schall berührt, die Nase von Düften, die Augen vom Licht. Kontakt ist Berührung. Was wir essen oder trinken, kosten wir, um zu prüfen, ob es uns gut tut. Auch das ist Kontakt. Kontakt ist nährend und belebend.
Wir befinden uns stetig in einem Prozess des Aufnehmens, Abwehrens, Einverleibens oder
Ausstoßens. Dazu benötigen wir die Fähigkeit, uns der Umwelt gegenüber als selbstständiges Wesen zu behaupten und unsere eigenen Bedürfnisse zur Geltung zu bringen.Wir befinden uns in ständigem
Wandel und bestehen doch auf unsere ganz eigene Weise fort. Da wir schon im Kindesalter damit beginnen, Strategien für funktionierenden Kontakt zu entwickeln, erleben wir als Erwachsene häufig
Störungen unserer zwischenmenschlichen Begegnungen. Ehemals hilfreiche Lösungen passen nicht mehr zu unserer heutigen Reife und unsere Interaktionen verfehlen ihr Ziel.
Um echte Begegnung erleben zu können, benötigen wir ein Bewusstsein für unsere Kontaktgrenze, die unseren Körper umfasst und dabei gleichzeitig die Umwelt berührt.
Den meisten von uns fällt es leicht, darüber nachzudenken, was jetzt gerade das Beste wäre. Es ist uns vertraut, uns Dinge bewusst zu machen, Lösungen zu entwickeln und Zusammenhänge zu erfassen.
Unser Bewusstsein umfasst neben unserer Wahrnehmung auch Konzepte, Erinnerungen, Interpretationen und Projektionen, die uns bei der Suche nach dem nächsten Schritt behindern können.
Im Gewahrsein gilt unsere Aufmerksamkeit nur den Phänomenen, die wir gerade unmittelbar erleben. Damit schaffen wir einen Raum, in den hinein sich die Bedürfnisse entfalten können, die in diesem Moment für uns von Bedeutung sind.
Mit etwas Übung ist diese beobachtende Haltung im so-sein ein guter Ausgangspunkt für die Erforschung unseres eigenen Befindens.