Perfekt vernetzt, oder schon verfangen?

Digital Detox

 

Nach einem langen Arbeitstag sitze ich endlich mit einem Glas Tee in unserer Küche. Meine Füße stecken behaglich in den Puschen, ich habe etwas Obst auf den Tisch gestellt und erwarte meinen Sohn, der noch seine Ninjago Figuren nach Farben sortiert. Nur eben noch ein paar Emails und Veranstaltungen checken, Freundinnen und Freunden ein paar Informationen zukommen lassen und dann war da ja noch dieser Artikel, den ich unbedingt lesen wollte. Mein Nacken spannt, meine Finger wischen über dunkles Glas. Der Große kommt auf leisen Sohlen in den Raum geschlichen, schiebt sich auf den Stuhl gegenüber und sieht mich an.
„Mama?“
„Hmmm?“
„Mama?“
„Hmmmmm?“
Dann Stille. Mit dem iPhone in der Hand ergibt immer eines das Nächste. Kurz darauf habe ich schon vergessen, dass er mich gerade angesprochen hat.
„Mama. Leg doch bitte mal das Handy weg. Ich will dir was sagen!“
Ich lege also endlich das Telefon auf den Tisch und sehe meinem Sohn ins Gesicht.
Er erzählt mir aufgeregt von seinem fulminanten Sieg bei einem Match mit Beyblade Kreiseln auf der Tischtennisplatte der Schule. Seine Wangen glühen, seine Augen leuchten und ich kann sehen, wie er es genießt, wenn ich diese Momente noch einmal mit ihm durchlebe. Mein Gesicht fühlt sich auch schon ganz heiß an und ich fühle mich glücklich und ziemlich ausgelassen. Es dauert nur wenige Minuten, bis meine vermeintliche Erschöpfung in spontane Verspieltheit und Freude umschlägt. Und das ganz ohne die Hilfe süßer Katzenvideos!


Solche Situationen waren bei uns in den letzten Monaten keine Seltenheit. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Kommunikation und damit, wie Menschen einander lebendig und authentisch begegnen können. Ich weiß, dass echte Begegnungen aufregend und inspirierend sind. Ich genieße es, mein Kind anzusehen und mich mit ihm zu unterhalten. Warum also ist es so verlockend, in jeder Atempause zum Smartphone zu greifen?

 

In dieser Scheinwelt der Als-Ob-Begegnungen lassen wir uns durch eine Datenflut treiben, die für uns so verlockend ist, wie die Möhre für den Esel. Die Algorithmen, die unseren News-Feed füttern, funktionieren bestens und wir sehen uns mit einer Flut von Informationen konfrontiert. Dabei handelt es sich leider um Informationsreichtum ohne Kontext. Vieles, was wir vor allem in den sozialen Netzwerken zu sehen bekommen, ist aus dem Zusammenhang gerissen und zu fragmentiert, um uns wirklich weiterzubringen. Wenn es uns schließlich doch gelingt, uns davon loszumachen, sind wir erschöpft und meist auch nicht schlauer als vorher.
Im ICE, an den Bushaltestellen, an der Kasse, auf dem Spielplatz oder im Café, überall stehen und gehen wir Menschen mit geneigtem Haupt. Wir starren auf eine kleine, glänzende Fläche, die uns mit der ganzen Welt zu verbinden scheint und merken dabei kaum, wie wir uns von der echten Welt, unserem Lebensmittelpunkt, entfremden. Das Kribbeln unter der Haut, wenn uns ein Fremder zulächelt, das erste Grün nach einem langen Winter, der Trubel der Stadt – alles nicht gesehen.


Für mich musste eine Veränderung her! Mit gesundem Menschenverstand konnte ich meiner schlechten Angewohnheit nicht beikommen, also habe ich strengere Maßnahmen ergriffen. Seit einigen Wochen lasse ich mein Handy nach der Arbeit einfach in der Tasche. Wenn ich es zwischendurch benutze, lege ich es gleich im Anschluss wieder zurück. Ist es aus meinem Blickfeld verschwunden, ist der Zauber der Anziehung wirkungslos.


Seither dehnt sich meine Freizeit immer mehr aus. Wenn ich einfach nur dasitze, entfaltet sich innere Stille. Ich finde mich an meinem Tee nippend und verträumt aus dem Fenster sehend wieder und verpasse auch den Moment nicht, in dem sich eine lustige Stupsnase langsam um die Ecke schiebt…

 

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