Resilienz

 

Wie kann ich lernen, sicher und gesund durch die Stürme des Lebens zu navigieren?

 

Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch den Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass zur Entwicklung zu nutzen.

 

Warum gelingt eine solche Hingabe ans Leben einigen von uns so gut, obwohl es vielen anderen so schwerfällt, das anzunehmen, was ist?

 

Hunter Beaumont hat in seinem Buch „Auf die Seele schauen“ eine Beschreibung gefunden, die mich sehr berührt:

 

„Wenn wir auf die Bewegungen der Seele schauen, dann merken wir, dass verschiedene Menschen unterschiedliche seelische Gewohnheiten haben. Wir merken, dass es Menschen gibt, die über eine große Flexibilität in der Seele verfügen, wie Wellenreiter oder gute Skifahrer, die sich sofort umstellen, wenn der Hang oder die Schneeverhältnisse sich ändern. Und so ist es mit manchen Seelen. Sie sind so flüssig und beweglich, dass sie sich schnell, im Gleichgewicht bleibend, umstellen können, wenn die Gegebenheiten des Lebensflusses sich ändern. Sie können tanzen mit ihrer Freude wie mit ihrer Trauer, mit Gewinn und Verlust im Leben, und sie bleiben dabei mehr oder weniger im Gleichgewicht. Und wir sehen andere Menschen, die nicht über diese grazile Beweglichkeit und dieses Gleichgewicht verfügen; sie stolpern oder verharren und erstarren in Zuständen noch lange, nachdem der eigentliche Anlass schon vorbei ist. Oder sie sind so brüchig, dass eine kleine Ursache einen großen seelischen Sturz oder einen Zusammenbruch, ein In-sich-Zusammensacken bewirken kann. Wir beobachten bei manchen Menschen auch die Gewohnheit oder Neigung, dieselben Erfahrungen, wie in einem Strudel gefangen, immer wieder zu wiederholen. Die Seele bewegt sich nicht fließend in der ganzen Breite des Lebensspektrums, sondern sie kreist um bestimmte Themen und kommt nicht weiter. Manchmal gerät die Bewegung der Seele in einen gewissen Stau oder sie zieht sich eine Art Verstauchung zu, zum Beispiel bei einer Depression.

 

Wenn diese poetische Sprache über die Seele für euch akzeptabel ist, können wir die Hypothese in den Raum stellen, dass unser neurotisches Leid viel damit zu tun hat, dass die Seele ihre Beweglichkeit verloren hat oder nicht hat üben können.


Bis zu dreißig Prozent der europäischen Bevölkerung leiden an stressbedingten psychischen Erkrankungen. Wir sind es gewohnt, uns kontinuierlich zu überfordern und oft genug ist es uns lieber, noch eine Folge einer Netflixserie zu schauen, als uns selbst in Stille erleben zu müssen. Es ist sehr leicht, unsere Lebensumstände dafür verantwortlich zu machen, wenn es uns nicht gelingt, geschmeidig mit allen Widrigkeiten des Alltags umzugehen. Ich bin eine große Freundin davon, die Verantwortung für mein eigenes Wohlergehen selbst in den Händen zu halten, deshalb interessiere mich dafür, wie wir Resilienz lernen können.

 

Raffael Kalisch leitet eine Langzeitstudie des Deutschen Resilienzzentrums und hat ein Buch zum Thema veröffentlicht (Raffael Kalisch: Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen.)

 

Resilienz, wie Kalisch sie beschreibt, ist kein Schutzschild, sondern eine Form der Aktivität. „Resilient sind nicht die, die sich nicht berühren lassen, sondern die, denen es gelingt, in allem Übel auch noch ein Körnchen Gutes zu finden, die, deren neuronales Belohnungssystem auch in stressigen und belastenden Situationen noch Aktivität zeigt. Solche Menschen machen sich keine Illusionen, aber bei Ungewissheit neigen sie dazu, eher einen positiven Verlauf der Dinge anzunehmen, und sie glauben eher, dass sie selbst etwas bewirken können.“

 

Ich finde es interessant, dieses Thema von zwei Seiten zu betrachten. Ich bin davon überzeugt, dass es sehr hilfreich sein kann und es sich lohnt, das eigene Denken mit Gewahrsein zu füllen und destruktive Gedankenschlaufen nicht stumpf immer wieder zu wiederholen.

 

Gleichzeitig meine ich, dass es noch tiefer liegende Gründe dafür gibt, warum sich unsere Seele schließt und wir nicht mehr so flexibel und lebendig auf Situationen reagieren können. Hunter Beaumont nennt in diesem Zusammenhang vier Faktoren:


- Trauma


Regeln und Tabus in der Familie


- Konzepte, Ideologien und Werte, die uns von der       Gesellschaft auferlegt werden


-Mangelnde Übung

 

Ganz gleich, wie hart wir an uns und unserer Sichtweise auf die Dinge arbeiten, einige Faktoren für einen Mangel an seelischer Beweglichkeit oder Resilienz liegen tief in uns verborgen. Wir tragen sie meist schon seit frühester Kindheit im Herzen und wir haben oft keine Worte dafür. Ein Mangel an Resilienz ist nicht dem Unwillen an Verbesserung der eigenen Lage oder der Unfähigkeit sich zu entwickeln geschuldet. Unsere Seele hat sich einst aus gutem Grund geschlossen – nämlich um uns zu schützen.


In unserer Kultur wird nicht viel Wert auf die Entwicklung seelischer Fähigkeiten gelegt. Wir üben eher das Durchhalten und verdrängen Schwäche, Schmerz und Trauer. Wenn das nicht gelingt, attackieren wir uns sogar selbst, werten uns ab und fügen uns damit noch eine weitere Verletzung zu.


Für mich gehört zur Wiederbelebung der Seele ein geschützter Rahmen, in dem Selbstliebe, die Hingabe an das Leben und eine sanfte Hinwendung zum alten Schmerz und den unpassenden, verinnerlichten Glaubenssätzen möglich ist. So reifen wir Schritt für Schritt heran und entfalten uns zur besten Version unserer selbst.